Angehörige / Co-Verhalten
Bei Personen, die in regelmässigem Kontakt stehen mit Menschen mit einer Alkoholproblematik (Familie, Partnerinnen und Partner, Kolleginnen und Kollegen, Freundinnen und Freunde) kann es dazu kommen, dass sich eine Art der Interaktion mit dem Betroffenen entwickelt, die letztlich zu keiner Veränderung des Suchtverhaltens führt (zum Beispiel Entschuldigung für Fehltage aus Krankheitsgründen beim Arbeitgeber), was letztlich Co-Verhalten bedeutet. Hausärztinnen und Hausärzte spielen dabei eine wichtige Rolle, die typischen Verhaltensmuster, die zur Aufrechterhaltung der Erkrankung zu erkennen, insbesondere dann, wenn er verschiedene Familienmitglieder kennt um Angehörige von suchtkranken Menschen zu beraten, beispielsweise eine Suchtfachstelle aufzusuchen.
Co-Verhalten wird (nach Jens Flassbeck) in 3 Stufen unterschieden:
1. Risiko und Verstrickung
- helfen und beschützen wollen
- Gedanken kreisen pausenlos um den Konsumenten
- Erklärungen suchen
- den eigenen Wahrnehmungen nicht mehr trauen
- emotionale Achterbahn: Überforderung, Angst, Hoffnung, Enttäuschung, Wut, Scham, Schmerz
- stilles Leiden, soziale Isolation
2. Co-Verhalten
- Denken, Fühlen, Handeln dreht sich um die suchtmittelabhängige Person
- Nähe zur Konsumentin/zum Konsumenten wird gesucht
- Kontrolle über den Konsum wird versucht
- Überverantwortlichkeit
- Sucht wird vor allem nach aussen bagatellisiert
- Ausgeprägte Scham- und Schuldproblematik
- Verbitterung, Anklagen
- Überzeugung, der suchtmittelabhängigen Person zu helfen, was aber unter Umständen das abhängige Verhalten verstärkt
3. Wechselwirkung mit anderen Störungen, welche ausgelöst werden können oder wieder auftauchen
- Erschöpfungszustand
- Depressionen
- Ängste
- psychosomatische Störungen
Co-Verhalten erkennen und Unterstützung anbieten
- Die Hausärztin oder der Hausarzt sollte bei der Abklärung psychischer oder psychosomatischer Beschwerden daran denken, dass ein Co-Verhalten vorliegen könnte, wenn der Verdacht besteht, dass es eine Person mit einer Suchtmittelproblematik im engeren Umfeld gibt
- Frauen sind tendenziell häufiger von Co-Verhalten betroffen; aber auch Eltern, Freundinnen und Freunde, Arbeitskolleginnen und Arbeitskollegen und andere Personen aus dem sozialen Umfeld können Co-Verhalten zeigen
- Co-Verhalten kann in Phasen verlaufen (z.B. beschützen, entschuldigen, kontrollieren, anklagen)
- Das Leben vieler Angehöriger ist durch die Abhängigkeit des Betroffenen häufig sehr beeinträchtigt
- Den Personen mit Co-Verhalten sollte ihre Problematik erklärt werden; oftmals benötigen sie selbst Unterstützung, diese sollte ihnen angeboten oder vermittelt werden
- Geeignete Unterstützungsangebote bieten u.a. Suchtfachstellen, Selbsthilfegruppen oder Sucht Schweiz
- Der Ausweg aus dem Co-Verhalten führt über
- Wahrnehmen der Abhängigkeit der betroffenen Person
- Ablösung (Folgen der Sucht nicht mehr vertuschen, Kontrolle aufgeben, Eigenverantwortung übernehmen lassen, eigene Gefühle zeigen, Fokussierung auf betroffene Person reduzieren und auch anderen Familienmitgliedern Aufmerksamkeit schenken, soziale Kontakte aufbauen)
- Autonomie (eigene Lebensziele, eigene Lebensgestaltung, Selbstwert durch eigene Aktivitäten finden, Abgrenzung, eigene Sinnfindung und Prioritätensetzung im Leben); oftmals gelingt dieses nur durch Inanspruchnahme von eigener professioneller psychotherapeutischer Unterstützung
Kinder aus suchtbelasteten Familien
- Kinder in suchtbelasteten Familien sind während ihres Heranwachsens mit vielerlei Problemen konfrontiert; diese Kinder und Jugendlichen haben zudem ein deutlich höheres Risiko, in ihrem Leben eine Abhängigkeit zu entwickeln
- Wichtig sind Angebote für die betroffenen Kinder und Jugendlichen (z.B. www.mamatrinkt.ch oder www.papatrinkt.ch, etc.)
- Wichtig sind aber auch Angebote für die Eltern zur Stärkung ihrer Elternrolle und zur Ermutigung, trotz der Suchtproblematik die Verantwortung gegenüber den Kindern wahrzunehmen (vgl. z.B. Angebot der Aargauischen Stiftung Suchthilfe ags)