Fallvignette
Gelegenheitskonsument mit somatischen Problemen
Der 35- jährige Herr M. war vor Jahren letztmals in der Praxis. Beim aktuellen Termin klagt er über Herzbeschwerden im Sinne von Herzrasen. Eher nebenbei erwähnt er, dass er über die Hausarztpraxis zukünftig auch regelmässige Urinkontrollen (UP) abgeben wolle. Er sei bei einer Verkehrskontrolle wegen zu schnellen Fahrens und auch wegen Drogenkonsum überführt worden. Seit Jahren konsumiere er gelegentlich Kokain, vor allem an den Wochenenden schnupfe er die Substanz.
Puls, Blutdruck und EKG sind unauffällig.
Was sollten Sie wissen?
- Im Gegensatz zu Menschen mit einer Kokainabhängigkeit berichten Gelegenheitskonsumierende selten von innerer Unruhe, Schlafstörungen, Gereiztheit, Paranoia und depressiven Verstimmungen. Im Rahmen einer beginnenden Abhängigkeitsentwicklung wird oft nicht die einzelne Kokaindosis erhöht, sondern eher häufiger konsumiert.
- Bei Gelegenheitskonsumierenden reguliert Geldmangel die Konsummenge meist von alleine. Je sozial integrierter, desto kleiner ist das Risiko einer Abhängigkeit. Ein dysfunktionaler Umgang mit Stress, z.B. am Arbeitsplatz, oder traumatische Ereignisse sind Risikofaktoren für eine Abhängigkeit.
- Gelegentlicher Kokainkonsum ohne gravierende Folgen (gesundheitlich, sozial) ist möglich. Zu unterscheiden sind Gelegenheitskonsumierende, abhängig Konsumierende sowie Heroinkonsumierende mit starkem Kokainkonsum.
- Bestehen kardiovaskuläre Komorbiditäten oder Risikofaktoren, sollten Konsumierende explizit auf das Risiko schwerer kardiovaskulärer Ereignisse infolge des Kokainkonsums hingewiesen werden.
- Überprüfen Sie die Möglichkeit des Vorliegens einer ADHS–Problematik (Aufmerksamkeitsdefizitsymptomatik im Erwachsenenalter mit/ohne Hyperaktivität), aber achten Sie darauf, dass ein chronischer Kokainkonsum auch das Verhaltensbild eines ADHS vortäuschen kann (hohe Impulsivität, Konzentrationsschwierigkeiten, Störung des Arbeitsgedächtnisses, Stimmungsschwankungen, vermehrtes Risikoverhalten). Bei tatsächlichem Vorliegen eines ADHS sollte dieses unbedingt mitbehandelt werden.
- Thematisieren Sie auch den Alkoholkonsum, der oft als Trigger für den Kokainkonsum fungiert.
Wie können Sie helfen?
- Zu den somatischen Problemen: Informieren Sie Herrn M. über mögliche Nebenwirkungen des Kokainkonsums. Tachykardien, innere Unruhe bis hin zur Angst und selten Paranoia sind mögliche Folgen des Kokainkonsums. Auch bei jungen gesunden Menschen kann der Kokainkonsum zu Infarkten (Herz, Hirn, Lunge, Darm) führen. Rauchen und vor allem Injizieren des Kokains sind gefährlichere Konsummuster (rascheres Anfluten im Belohnungssystem, häufigeres und drastischeres Erleben eines depressiven Stadiums und so grosses Abhängigkeitsrisiko), die Dosis scheint dabei zweitrangig zu sein.
- Machen Sie eine Basisuntersuchung wie bei anderen Patientinnen oder Patienten mit Herzproblemen auch (art. Hypertonie? KHK?). Klären Sie den Patienten über die kardiovaskulären Risiken des Kokainkonsums auf.
- Überlegen Sie sich, ob Sie bereit sind, Urinproben (UP) zu kontrollieren. Falls ja, regelmässige Termine mit Patientin oder Patient vereinbaren, Verfügung des Strassenverkehrsamtes (STVA) zeigen lassen, abklären, wie häufig und wie lange UP- Kontrollen nötig sind. Evtl. braucht es auch regelmässige Termine mit einer Suchtfachstelle - dies kann der Verfügung des STVA entnommen werden..
- Klären Sie mit Herrn M., ob weitere Hilfe, zum Beispiel durch Suchtfachstellen, nötig ist. Falls dies verneint wird, sollte dies spätestens bei der 2. positiven UP initiiert werden. Bestehen Sie als Ärztin oder Arzt darauf.
- Wenn indiziert, so reagieren gelegentlich kokainkonsumierende Menschen besser auf hoch strukturierte Behandlungsformen (Einbezug der Bezugspersonen, psychiatrische, psychologische oder medizinische Behandlung). Auskunft dazu bekommen Sie von der Suchtfachstelle in Ihrer Region.
- Weitere Informationen finden Sie geordnet nach Themen auf der Navigationsliste. Zögern Sie auch nicht, sich Hilfe zu holen, z.B. über unseren Auskunftsdienst
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