Fallvignette
Kokainkonsument/-in mit psychischen Problemen
Herr L. hat während der Wartezeit zweimal das Wartezimmer verlassen, er wirkt im Erstkontakt misstrauisch und angetrieben. Er habe deutliche Schlafstörungen und möchte von Ihnen ein starkes Schlafmittel haben. Nach mehrmaligem genauerem Nachfragen gibt er einen mehrjährigen intensiven Crackkonsum an, er sei stark verschuldet und fühle sich depressiv.
Was sollten Sie wissen?
- Bei Verschreibungen von Benzodiazepinen laufen Sie Gefahr, iatrogen eine zusätzliche Abhängigkeit zu erzeugen. Benzodiazepine sollten deshalb nur kurzfristig in einer akuten Situation eingesetzt werden. Überdosierungen von Benzodiazepinen und/oder Alkohol in Kombination mit Kokain sind risikoreich (die Alkohol- und/oder Benzodiazepinwirkung wird unterschätzt und bei Nachlassen der Kokainwirkung besteht die Gefahr einer Atemdepression). Benzodiazepine besitzen ein hohes Abhängigkeitspotenzial.
- Stark abhängige Kokainkonsumierende schaffen ein Absetzen des Kokains oft nur in einem engen ambulanten Setting oder im stationären Rahmen.
- Medikamentöse Behandlungen, analog zu einer Opioidagonistentherapie der Opioidabhängigkeit, sind derzeit nicht zugelassen.
Wie können Sie helfen?
- Machen Sie eine Basisuntersuchung wie bei anderen Patientinnen und Patienten auch. Neben den kardiovaskulären Komorbiditäten achten Sie auf Hinweise für Läsionen der Nasenscheidewand, Infektionen, epileptische Anfälle.
- Beachten Sie Hinweise für psychiatrische Komorbidität.
- Seien Sie zurückhaltend mit der Verordnung von stark wirksamen Benzodiazepinen. Beta-Blocker können in der Entzugsphase die innere Unruhe und Tachykardien dämpfen.
- Erklären Sie der Patientin oder dem Patienten, dass der Crack- oder Kokainkonsum eine der Hauptursachen für seine Schlafprobleme (Quantität und Qualität) und seine depressive Stimmung sein können. Gerade eine "Pause" vom Crack-Konsum in einer sicheren Umgebung kann helfen, den Schlaf und die Erschöpfung aufzuholen und ermöglicht oft auch eine ausreichende Kalorienzufuhr. Ein kurzer Krankenhausaufenthalt kann notwendig sein, aber auch ein Umgebungswechsel kann helfen, eine Pause einzulegen. Auf jeden Fall sollte umgehend mit der Rückfallprävention begonnen werden.
- Der Einsatz von Antidepressiva bei depressiver Begleitsymptomatik kann hilfreich sein (Evidenz v.a. für antriebssteigernde trizyklische Antidepressiva gerade in den ersten Wochen der Abstinenz vorhanden, bei anamnestisch bekannten depressiven Episoden auch ohne Kokainkonsum kommen auch weitere Antidepressiva wie z. B. SSRI in Frage). Antidepressiva scheinen jedoch kaum eine Wirkung auf die Kokainabhängigkeit zu besitzen.
- Andere Massnahmen, wie z.B. Einsatz von medizinischen Stimulanzien (Amphetamine oder Methylphenidat) sind Gegenstand aktueller Forschung.
- Bieten Sie eine stationäre Überweisung in eine Klinik zu einer Kurzhospitalisation an. Klären Sie die Suizidalität ab, ggf. Psychiaterin oder Psychiater zuziehen.
- Alternativ oder zusätzlich empfehlen Sie eine Kontaktaufnahme mit einer der Suchtfachstelle, dort sind die aktuellen ambulanten Behandlungsprogramme bekannt.
- Weitere Informationen finden Sie geordnet nach Themen auf der Navigationsliste. Zögern Sie auch nicht, sich Hilfe zu holen, z.B. über unseren Auskunftsdienst
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