Alkoholbezogene Störungen entwickeln sich in der Regel im Verlauf eines mehrjährigen chronischen Alkoholkonsums, werden jedoch häufig unterdiagnostiziert
Die Zahl der Alkoholabhängigen in der Schweiz wird auf ca. 250'000 geschätzt (ca. 5% der Erwachsenen in der Schweiz)
Ein schädlicher Gebrauch nach ICD liegt vor (ca. 20% der Erwachsenen), wenn der Alkoholkonsum zu einer psychischen oder physischen Gesundheitsschädigung führt
Häufig wird ein schädliches Konsumverhalten von anderen kritisiert und hat negative soziale Folgen bzw. steht im Zusammenhang mit Verstössen im Strassenverkehr oder mit dem Gesetz
Erfassung der Alkoholabhängigkeit nach ICD und DSM
Das Abhängigkeitssyndrom nach ICD-10 (F10.2) beschreibt eine Gruppe von Verhaltens-, kognitiven und körperlichen Phänomenen, die sich nach wiederholtem Substanzgebrauch entwickeln; die Diagnose wird gestellt, wenn während der letzten 12 Monate drei oder mehr der folgenden Kriterien gleichzeitig erfüllt waren
Ein starker Wunsch oder eine Art Zwang, Alkohol zu konsumieren
Verminderte Kontrollfähigkeit bezüglich des Beginns, der Beendigung und der Menge des Konsums
Körperliches Entzugssyndrom bei Beendigung oder Reduktion des Konsums
Nachweis einer Toleranz; um die ursprünglich durch niedrigere Dosierungen erreichten Wirkungen hervorzurufen, sind zunehmend grössere Mengen erforderlich
Fortschreitende Vernachlässigung anderer Interessen zugunsten des Alkoholkonsums, erhöhter Zeitaufwand, um die Substanz zu beschaffen, zu konsumieren oder sich von den Folgen zu erholen
Anhaltender Substanzkonsum trotz Nachweises eindeutig schädlicher Folgen, wie z.B. Leberschädigung durch exzessives Trinken, depressive Verstimmungen infolge starken Alkoholkonsums oder eine Verschlechterung der kognitiven Funktionen
Nach DSM-5 (seit 2013 gültiges diagnostisches Manual) werden die Merkmale für den schädlichen Gebrauch und die Abhängigkeit von Alkohol dimensional als „Alkoholgebrauchsstörung“ mit unterschiedlichen Ausprägungsgraden betrachtet; wenn innerhalb eines 12-Monatszeitraumes 2-3 Kriterien zutreffen, wird eine milde, bei 4-5 Kriterien eine moderate und bei 6-11 Kriterien eine schwere Alkoholgebrauchsstörung diagnostiziert
Kriterien nach DSM-5
Wiederholter Konsum, der zu einem Versagen bei der Erfüllung wichtiger Verpflichtungen bei der Arbeit, in der Schule oder zu Hause führt
Wiederholter Konsum in Situationen, in denen es aufgrund des Konsums zu einer körperlichen Gefährdung kommen kann
Wiederholter Konsum trotz ständiger oder wiederholter sozialer oder zwischenmenschlicher Probleme
Toleranzentwicklung gekennzeichnet durch Dosissteigerung oder verminderte Wirkung
Entzugssymptome oder deren Vermeidung durch Substanzkonsum
Konsum länger oder in grösseren Mengen als geplant (Kontrollverlust)
Anhaltender Wunsch nach oder erfolglose Versuche der Kontrolle
Hoher Zeitaufwand für Beschaffung und Konsum der Substanz sowie Erholen von der Wirkung
Aufgabe oder Reduzierung von Aktivitäten zugunsten des Substanzkonsums
Fortgesetzter Gebrauch trotz Kenntnis von körperlichen oder psychischen Problemen
Craving, starkes Verlangen oder Drang die Substanz zu konsumieren
ICD-11 soll 2022 in Kraft treten, Kriterien stimmen im wesentlichen mit denjenigen des DSM-5 überein
Behandlung
Eine Alkoholabhängigkeit ist eine Erkrankung, die oftmals eine längerdauernde Behandlung erfordert
Bei Vorliegen einer Alkoholabhängigkeit sollten die Betroffenen nach klinischer Risikoeinschätzung zu einer stationäre oder ambulante Entzugstherapie motiviert werden (ev. mit nachfolgender Langzeittherapie)
Bei einem erneuten Alkoholkonsum nach einer Abstinenzphase entwickeln sich die Symptome einer Abhängigkeit häufig in sehr viel kürzerer Zeit
Zu prüfen ist die Zusammenarbeit mit einer Suchtfachstelle sowie Angebote der Selbsthilfe als ergänzende Unterstützung
Bei chronifizierter langandauernder Alkoholabhängigkeit, z.T. verbunden mit Mehrfachbeeinträchtigungen und/oder Randständigkeit, erweisen sich niederschwellige Behandlungsversuche, z.B, Kontrolliertes Trinken, mit den Zielen einer Stabilisierung und Anbindung ans therapeutische Netz als erfolgreich
Kinder sowie Partnerinnen und Partner leiden massiv unter der Alkoholabhängigkeit eines Familienmitglieds; mögliche Folgen sind lang wirkende seelische und körperliche Leiden; wichtig ist deshalb eine frühzeitige Miteinbeziehung von Familienangehörigen und die Bereitstellung entsprechender Angebote für Kinder, vgl. auch Angehörige; Co-Verhalten von nahestehenden Personen kann die Abhängigkeit aufrechterhalten und verstärken