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Kontrolliertes Trinken

Definition / Hintergrund

„Kontrolliertes Trinken“ als Therapieziel bei der Behandlung von Personen mit Alkoholproblemen verbreitete sich in der Schweiz und in Deutschland erst ab Ende der 1980er Jahre (in den USA und Kanada bereits früher)1.

Kontrolliertes Trinken (KT) ist ein Konsumverhalten, bei dem die Person die Freiheit behält, in bestimmten Situationen auf den Alkoholkonsum zu verzichten und in zuvor festgelegten Situationen im zuvor definierten Umfang trinken zu können (Festlegen eines Trinkplans und Trinkregeln inkl. Trinkmenge und Rahmenbedingungen wie Ort und Zeit). Sinnvoll ist es, in einem solchen Konsumplan wochenweise 3 Ziele festzulegen:

  • Anzahl alkoholfreier Tage
  • Maximale Konsummenge an Trinktagen
  • Maximaler Gesamtkonsum in der ganzen Woche

Durch die Einführung des DSM-5 im Jahre 2013 sowie den damit verbundenen Abschied vom bi-axialen Suchtverständnis und Hinwendung zu Konzept "Substanzgebrauchsstörung auf einem Kontinuum", rückt das „kontrollierte Trinken/Riskio-reduzierte Trinken“ im Sinne eines verantwortungsvollen Konsums stärker in den Mittelpunkt. Auf diesem Wege könnten in der Primärversorgung bislang nicht erreichte Personen angesprochen werden, insbesondere jene, die aktuell kein Abstinenzziel verfolgen, die – begrenzt – weiter trinken wollen oder für die eine Reduktion im Gegensatz zur Abstinenz ein bevorzugtes Ziel ist. KT kann dabei durchaus ein Zwischenziel auf dem Weg zur Abstinenz darstellen.

Betroffene können ihr Trinkziel selbst wählen, was für die Veränderungsmotivation grundsätzlich förderlich ist. Empfohlen wird eine konstruktive Zusammenarbeit mit Suchtfachstellen oder ausgebildeten Trainerinnen und Trainern an, welche die KT-Programme i.d.R. seit Jahren aufgrund der Nachfrage des Klientels in ihr Angebot integriert haben. Die Beratung und Begleitung sollten über einen längeren Zeitraum gehen und erfordert eine gute Dokumentation des Trinkverhaltens seitens des Betroffenen.

Anhand einer Indikation (nach definierten Standards) wird die Eignung für ein KT-Programm festgestellt. In den folgenden Fällen ist i.d.R. allerdings eine Abstinenz dem kontrollierten Trinken als Behandlungsziel vorzuziehen:

  • Unfähigkeit, realistische Ziele zu erreichen und somit Unmöglichkeit, in der Therapie festgelegte Wochenpläne einzuhalten
  • Bestehende Abstinenz, respektive Wunsch abstinent zu leben
  • Frauen, welche eine Schwangerschaft planen oder bereits schwanger sind; zudem Frauen, die stillen
  • Betroffene mit schweren Begleiterkrankungen (z.B. Organschädigungen, insbesondere mit kognitiven und mnestischen Störungen)
  • Betroffene, welche Medikamente einnehmen, die sich mit Alkohol nicht vertragen
  • Betroffene mit abstinenzorientierten Auflagen (z.B. FiaZ siehe Strassenverkehr)

Gleichzeitig werden diese Ausschlusskriterien auch flexibel – unter Hinweis auf allfällige Risiken) gehandhabt, wenn die betroffene Person keine andere Behandlungsform als KT akzeptiert2. In der Schweiz gibt es verschiedene ambulante Angebote zum Kontrollierten Trinken.
Kontrolliertes Trinken nach dem Modell von Prof. Körkel:

  • Das Erlernen des kontrollierten Trinkens erfolgt anhand eines 10-Schritte-Programms (z.B. Bilanzierung des eigenen Alkoholkonsums; Strategien zum Erreichen der festgelegten Ziele; etc.)
  • Angeboten werden ambulante Einzel- und Gruppenprogramme sowie das 10-Schritte-Selbstlernprogramm; vgl. www.kontrolliertestrinken.de (in der Schweiz gibt es mittlerweile viele ausgebildete KT-Trainerinnen und Trainer, die auf der Homepage aufgeführt sind)
  • Brügger Modell nach Luc Isebaert
  • Programm in der Romandie, vgl. MES CHOIX

Wie die umfassenste Bestandesaufnahme zum Thema KT in der Schweiz durch das BAG im Jahre 2004bereits zeigte, besteht einerseits eine vergleichsweise grosse Akzeptanz von KT. Wobei andererseits im stationären Sektor die tatsächliche Einführung entsprechender Programme, auch  im Rahmen von Tageskliniken, weiterhin auf sich warten lässt, selbst nach der Ablösung des bisherigen kategorialen Modells der Sucht nach ICD-10. Als bislang einzige Ausnahme kann das Angebot der Klinik St.Urban gelten, welches mit ‘Übungssubstanzen’ (Nikotin, Koffein, Gamen, Energydrinks) ein 6-wöchiges Programm zur ‘Kontrolle im selbstbestimmten Substanzkonsum’ anbietet4. Was die Wirksamkeit von KT orientierten Programmen anbetrifft, so ist diese unterdessen breit abgestützt, wobei selbst ‘Suchtschwere’ sich nicht als Kontraindikation erweist5.

Trinken unter Kontrolle

Für Zielgruppen, welche (noch nicht) bereit sind, strukturierte Angebote zur Erlernung des kontrollierten Trinkens anzunehmen, können in der Schweiz und auch in anderen Ländern wie Deutschland und den Niederlanden, Alkohol im Rahmen von Treffpunkten/Trinkräumen/’wet places’ in einem geschützten, professionell begleiteten Rahmen Alkohol konsumieren. Voraussetzung ist die Akzeptierung von Regeln wie etwa ‘keine Gewalt’, ‘keine Drogen’, ‘kein Schnaps’. Diese ambulanten Angebote (z.B. Treffpunkt-Alk Zürich und CONTACT Anlaufstelle La Gare, Bern6) verfolgen Schadensbegrenzung aber auch eine allfällige Motivierung zur Verhaltensänderung sowie die ‘sanfte Hinführung’ auf weiterführende Programme. 

Was den stationären Bereich angeht, so gewann das Konzept ‘Trinken unter Kontrolle’ als pragmatische organisatorische Leitlinie in den letzten Jahren zunehmend Bedeutung in Männerwohnheimen/ Wohn-Arbeits- und Beschäftigungsstätten Hospiz le Pré-aux-Boeufs, Sonvilier BE für mehrfach belastete Personen.

Über eine Reglementierung des Alkoholkonsums (z. B. Aushandlung eines Konsumplans bei Eintritt, kontingentierte Abgabe zu bestimmten Zeiten; Einrichtung einer Bar auf dem Heimgelände) sollen   das Einschmuggeln von Alkohol sowie Probleme/öffentliches Ärgernis in den Gastgemeinden vermieden werden. Pionierarbeit hat hier insbesondere das Hospiz le Pré-aux-Boeufs, Sonvilier BE geleistet; weiter zu nennen sind  Schloss Herdern TG; Sonnenburg, Weinfelden TG; und der Suneboge, ZH welcher Übergangsangebote zum Kontrollierten Trinken in vereinfachter Form in Zusammenarbeit mit t-alk ZH anbietet7.

 


1Thomas Radke & Marcel Krebs:“Kontrollierter Konsum vonAlkohol – ein Überblick.”SuchtMagazin 3/2008; Thomas Meyer:“Kontrolliertes Trinken – Standder Debatte in der Schweiz.”Abhängigkeiten 1/2009

2Klingemann H. et al. (2010): Kontrolliertes Trinken in der Schweiz zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Suchttherapie 11 (1), 18-23. 

3https://www.researchgate.net/publication/302911071_Kontrolliertes_Trinken_als_Behandlungsziel_
Bestandesaufnahme_des_aktuellen_Wissens; Klingemann H. & H. Rosenberg (2009): Acceptance and therapeutic practice of controlled drinking as an outcome goal by Swiss alcohol treatment programs. European Addiction Research 15, 121-127. 

4Henssler et al. (2021): Controlled drinking – non-abstinent treatment goals in alcohol use disorder: a systematic review, meta-analysis and meta-regression. Addiction 116 (8), 1973-1987. 

5https://www.iss-nuernberg.de/zieloffene-suchtarbeit/

6https://www.stadt-zuerich.ch/sd/de/index/unterstuetzung/drogen/treffpunkte/talk.htm
  https://www.contact-suchthilfe.ch/angebote/contact-anlaufstelle/

7Eine detaillierte Gesamtübersicht unter besonderer Berücksichtigung der Schweiz bietet: Klingemann H. & J.Klingemann (2017): Unknown and Under-Researched: The Anatomy of Drinking under Control Programs. SUCHT, 63 (5)277-288. §


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