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Glossar Kokainbehandlungen

Übersicht über den Stand der Behandlungen von kokainbedingten Störungen

Das Glossar der Kokainbehandlungen umfasst den gegenwärtigen Stand des Wissens. Es war bis 2012 ein eigenständiges Nachschlagewerk und wurde anfangs 2014 in Praxis Suchtmedizin integriert.

Es existiert noch kein breit anwendbares Medikament zur Behandlung der Kokainabhängigkeit und wird es wohl auch nicht geben. Das National Institute on Drug Abuse (NIDA) hat kommuniziert, dass sie keine Studien mehr zur Überprüfung eines bestimmten Medikaments für die Behandlung der Kokainabhängigkeit finanzieren werden. Für einzelne im Glossar für Kokainbehandlung referenzierten Medikamenten ist eine gut eingebettete individualisierte Pharmakotherapie im off-label-use möglichst kombiniert mit Psychotherapie durch Experten aber möglich.

Ein Artikel von Rudolf Stohler und Michael Schaub, welcher im Swiss Medical Forum veröffentlicht wurde, fasst die aktuellen Behandlungsmöglichkeiten zusammen, die bis Ende Juni 2012 wissenschaftlich beschrieben wurden.
Behandlung der Kokainabhängigkeit: ein multimodales Unterfangen

Online-Glossar Vers. 9

1. Vorwort
2. Allgemeine Bemerkungen
3. Prävalenz des Kokainkonsums
4. Gruppen von Konsumentinnen und Konsumenten
5. Therapie
5.1 Therapiesetting
5.2 Psychotherapeutisch-psychosoziale Behandlungsansätze mit wissenschaftlichem Wirksamkeitsnachweis
5.2.1 Kognitive Verhaltenstherapie (Cognitive Behavioral Therapy – CBT)
5.2.2 Community Reinforcement Approach (CRA)
5.2.3 Kontingenzmanagement (Contingency Management – CM)
5.2.4 Relapse prevention
5.2.5 Matrix-Modell
5.2.6 Behaviorale Familientherapie
5.2.7 Analytische Gesprächstherapie
5.2.8 Supportive Therapie
5.3 Ansätze ohne (klaren) wissenschaftlichen Wirksamkeitsnachweis (aber mit einer gewissen Plausibilität)
5.3.1 Network-Therapie
5.3.2 Akupunktur
5.4 Pharmakologische Ansätze
5.4.1 Agonistische Therapie
5.4.2 GABA-erge Medikation
5.4.2.1 Anti-Epileptika, mood-stabilizer
5.4.2.2 Progesteron
5.4.2.3 GABA(B)-Agonisten (Baclofen)
5.4.3 ß-Blocker
5.4.4 Dopaminerge Medikation
5.4.5 Medikamente aus der Alkoholentwöhnung
5.4.6 (stimulierende) Antidepressiva
5.4.7 Neuroleptika
5.4.8 Neuroprotektive Substanzen
5.4.9 Aktive/passive Impfungen
5.4.10 Weitere pharmakologische Ansätze
5.4.11 Behandlung akuter Kokainüberdosis
5.5 Besonders zu beachtende Problemfelder
5.5.1 Behandlung von Mehrfachabhängigen mit Kokainkonsum
5.5.2 Behandlung von Schwangeren mit Kokainkonsum
5.5.3 Jugendliche mit schädlichem Gebrauchsmuster
5.5.4 Ungeschützte Sexualkontakte
5.5.5 Co-occurring disorders
6. Differentielle Indikation
7. Zusammenarbeit und Unterstützung
8. Impressum Glossar Kokainbehandlungen

1. Vorwort

Es wird hier die neunte Version eines Glossars zur Behandlung von Kokainabhängigkeit und -missbrauch vorgelegt. Die Form eines Glossars mit Hinweisen auf Behandlungsmöglichkeiten wurde gewählt, weil die wissenschaftliche Literatur das Erarbeiten von eigentlichen Behandlungsrichtlinien noch nicht erlaubt. Gleichzeitig können allfällige Aktualisierungen leicht integriert werden.
Die hier gemachten Aussagen berücksichtigen neben der einschlägigen wissenschaftlichen Literatur auch Therapieempfehlungen anderer Autorengruppen (Ford 2004; Thomasius, Gouzoulis-Mayfrank et al. 2004; US Center for Substance Abuse Treatment 2005) sowie die persönliche, klinisch-therapeutische Erfahrung, der ursprünglich an der Ausarbeitung des Glossars beteiligten Autoren. Das Glossar wurde von einer nationalen, interdisziplinären, sechzehnköpfigen Expertengruppe halbjährlich überarbeitet. Diese Expertengruppe bestimmt jährlich darüber, welche jeweils neu erschienenen Studien zur Behandlung von kokainbedingten Störungen ins Glossar aufgenommen werden. Finanziell wird die Weiterentwicklung des Glossars durch das Bundesamt für Gesundheit in reduzierter Form unterstützt, die aktuelle Verfügung wurde bis Ende 2012 ausgestellt.
Als Basis des vorliegenden Glossars dienten experimentelle und empirische Arbeiten, die zwischen dem 1.1.1995 und dem 1.11.2011 in der wissenschaftlichen Literatur zur Behandlung von Kokainabhängigkeit und -missbrauch veröffentlicht wurden. Ausnahmen wurden dann gemacht, wenn Erkenntnisse früherer Untersuchungen für das Verständnis von Arbeiten aus der Berichtsperiode nötig waren. Die Sicherheit bzw. Fundierung der Empfehlung einer therapeutischen Maßnahme zur Behandlung von Kokainabhängigkeit und -missbrauch (folglich Kapitel 5) wurde in Anlehnung an die Leitlinien der American Psychiatric Association (APA 1995) nach drei Evidenzgraden gestuft:

A) Empfehlung empirisch gut fundiert (wenigstens eine Metaanalyse bzw. systematisches Review bzw. mindestens eine kontrollierte sowie randomisierte Studie bzw. mehrere Studien mit konsistentem Ergebnis)
B) Empfehlung allgemein begründet (Vorliegen mindestens einer gut angelegten, kontrollierten Studie (Fallkontroll- oder Kohortenstudie) bzw. Vorliegen mindestens einer Therapieverlaufsstudie, quasi experimentell, gut angelegt)
C) Empfehlung im Einzelfall klinisch belegt (Vorliegen mindestens einer gut angelegten, deskriptiven Studie (Vergleichsstudie, Korrelationsstudie) bzw. Review ohne quantitative Datenanalyse)

Basiskenntnisse der Pharmakologie von Kokain, der pathophysiologischen Grundlagen von Wirkungen und Nebenwirkungen sowie der Therapiekonzepte werden vorausgesetzt. Auf die Besprechung von Notfallsituationen wird verzichtet, zumal deren Behandlung meist symptomatisch und unspezifisch erfolgt. Hierzu sei auf die umfangreiche Literatur verwiesen (z.B. Ladewig and Stohler 1999; Oppliger 2000; Stohler 2004).
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2. Allgemeine Bemerkungen

Ein Therapiebeginn sollte möglichst schnell erfolgen. "Motivationsprüfungen", z.B. in Form von mehrmaligen Vorgesprächen, haben sich teilweise als kontraproduktiv erwiesen (Bell, Chan et al. 1995; Maddux, Desmond et al. 1995). Die Behandlung soll im "least restrictive setting possible" durchgeführt werden (Mirin, Batki et al. 1995), auch um die Eigenverantwortlichkeit der Patientinnen und Patienten zu fördern. Konfrontation und autoritäre Anweisungen sind wenig hilfreich (Schneider, Casey et al. 2000).
Diagnostiziert wird eine Abhängigkeit resp. ein schädlicher Gebrauch von Kokain und anderen illegalen Substanzen gemäss den Diagnosekriterien des ICD-10 (Dilling, Mombour et al. 1991) oder des DSM-IV (American Psychiatric Association 1994). Der Substanzkonsum kann durch eine Urinuntersuchung (oder allenfalls einer anderen Körperflüssigkeit) dokumentiert werden. Wegen möglicher illegaler Aktivitäten, paranoider Tendenzen und Schamgefühlen sind die Angaben substanzmissbrauchender Personen und insbesondere bei kokainmissbrauchenden oft unvollständig oder dissimulierend. Gerade bei Behandlungsbeginn ist auf transparente Information und empathisch-zugewandtes, nicht-(ab-)wertendes Verhalten zu achten (US Center for Substance Abuse Treatment 2005). Eine umfassende Abklärung hat ggf. über einen längeren Zeitraum - parallel zur Vertrauensbildung - zu erfolgen und erleichtert die Benennung gemeinsamer Therapieziele. Hierzu gehört typischerweise die Verbesserung des allgemeinen Gesundheitszustandes durch Abstinenz oder kontrollierten Konsum und durch die gezielte Behandlung von Begleiterkrankungen; weiterhin eine Verbesserung der sozialen Integration, z.B. durch finanzielle Sanierung, Regelung der Wohn- und Beschäftigungssituation, die Wiederherstellung von Beziehungen usw. (Stohler, 2004). Häufig muss dabei auch kognitiven Defiziten Rechnung getragen werden (Dürsteler-MacFarland, Herot-Cereghetti et al. 2005; Ornstein, Iddon et al. 2000).
Somatische Begleit- und Folgeerkrankungen (HIV und AIDS, Hepatitiden, Abszesse, Läsionen der Nasenscheidewand, arterielle Hypertonie, koronare Herzkrankheit, Infarkte, Epilepsie etc.) müssen häufig mitbehandelt werden. Auf parallelen oder den Kokainkonsum triggernden, resp. auf die Minderung des "crash" abzielenden, übermässigen Alkoholkonsum, muss besonderes Augenmerk gelegt werden (Kontrollverlust nach Alkoholkonsum).
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3. Prävalenz des Kokainkonsums

In vielen industrialisierten Ländern hat die Prävalenz des Konsums und damit fast immer auch die des schädlichen Konsums und der Abhängigkeit von Kokain zugenommen (EMCDDA 2011). Die Datenlage in der Schweiz ist ungenügend. Es herrscht aber auch hier der Eindruck vor, dass vermehrt Kokain konsumiert wird (De Preux, Dubois-Arber et al. 2004; Maag 2003), und die Lebenszeitprävalenz des Kokainkonsums hat in den letzten Jahren zugenommen (SFA 2009). Weiter haben sich bei den ambulanten Behandlungs- und Beratungsstellen die Anfragen aufgrund von kokainbedingten Störungen in den letzten zehn Jahren verfünffacht (Maag 2006), und in den stationären Einrichtungen wurde Kokain von den Konsumenten im Jahr 2005 erstmals vor den Opiaten als Hauptproblemsubstanz genannt (Act-info-FOS 2005).
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4. Gruppen von Konsumentinnen und Konsumenten

Es sind verschiedene Einteilungen beschrieben worden (z.B. Avants, Margolin et al. 1994; Haasen and Krausz 2001; Haasen, Prinzleve et al. 2004; Hausser, Kübler et al. 1999; Kreek 1996; Kuebler, Hausser et al. 2000; Prinzleve, Haasen et al. 2004). Nach sozialen Kriterien lassen sich zwei hauptsächliche Gruppen (und viele Untergruppen) von Personen mit Störungen durch Kokain charakterisieren, wobei die Übergänge fliessend sind:
a) Sozial gut Integrierte (z.B. "Stressberufe", Partyszenengänger)
b) sozial Marginalisierte (z.B. Prostituierte, Obdachlose, Mehrfachabhängige)
Andere Einteilungskriterien sind unterschiedliche Konsumformen (i.v., sniffen, rauchen; Monokonsum resp. gleichzeitiger Konsum mehrerer Substanzen), Konsumfrequenzen ("binge", "non-binge"), unterschiedliche galenische Formen (Salz, Base) oder das Vorhandensein zusätzlicher Krankheiten und Störungen (Kardiopathien, Neuropathien, hirnorganische, schizophrene, depressive etc.). Eine neuere Studie hat in Anlehnung an die A-B Typologisierung bei Alkoholikern Typ B Patienten bei einer Gruppe von Kokainabhängigen gefunden. Typ B Patienten charakterisieren sich durch einen früheren Abhängigkeitsbeginn, schwerere Abhängigkeitssymptome sowie durch stärker ausgeprägte Psychopathologie und Impulsivität (Ahmadi, Kampman et al. 2008).
Häufig liegen Mehrfachabhängigkeiten (Alkohol, Opiate, Benzodiazepine), somatische Begleit- und Folgekrankheiten, sowie psychiatrische "co-occurring disorders" (Persönlichkeitsstörungen, Depressionen, organische Störungen, bipolare Störungen, ADHD, schizophrene Störungen etc.) vor. Es ist notwendig, diese zu erkennen und zu behandeln. Suizidalität ist häufig (z.B. beim "Kokain-Crash") und immer zu beachten!
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5. Therapie

Wichtigstes Therapieziel ist die Erhaltung resp. Wiedererlangung der Gesundheit, sozialer Integration und Partizipation, was unter medizin-ethischen Gesichtspunkten mit der "salus aegrotorum" (dem Wohlbefinden der Kranken) einhergeht. Danach richtet sich die Behandlungsmethode.
Abstinenz, kontrollierter Konsum, Behandlung von Begleit- und Folgekrankheiten und –störungen sollen helfen, dieses umfassende Ziel zu erreichen.
Der Ansatz ist insgesamt multimodal. Die Kombination von Psycho- und Pharmakotherapie ist erfolgversprechender als alleinige Psycho- resp. Pharmakotherapie (Carroll, Rounsaville et al. 1994, Evidenzgrad A).
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5.1 Therapiesetting
Kokainabhängige Patientinnen und Patienten mit einer geringen sozialen Begleitproblematik erreichen sowohl in ambulanten und teilstationären als auch instationären Behandlungsformen vergleichbar gute Ergebnisse bezüglich Abstinenzrate und Rückfallhäufigkeit (Simpson, Joe et al. 1999, Evidenzgrad A). Sinnvoll scheint deshalb ein Vorgehen nach dem Subsidiaritätsprinzip (möglichst wenig eingreifende, kostengünstige Intervention, erst bei mangelndem Erfolg Steigerung der Intensität).
Eine weitere Behandlungsoption für Patientinnen und Patienten mit Störungen durch Kokain ist die tagesklinische Behandlung. Bei kurzdauernden stationären und tagesklinischen Behandlungen (2 Wochen) sind bei Störungen durch Kokain in Bezug auf die Abstinenzraten vergleichbare Ergebnisse zu erwarten (Alterman, Kampman et al. 1997; Alterman, O'Brien et al. 1993; Schneider, Mittelmeier et al. 1996, Evidenzgrad A). In den ambulanten Behandlungsmodellen mit einer 12-wöchigen Behandlungsdauer zeigten bei Störungen durch Kokain 9 Monate nach Behandlungsbeendigung die Einzelbehandlung, die kombinierte Einzel- und Gruppentherapie und die ambulante hochfrequente Gruppentherapie positive Behandlungsergebnisse hinsichtlich Haltequote, Reduktion des Drogenkonsums, Besserung der psychopathologischen Symptomatik sowie Verbesserungen in individuell definierten Problembereichen (Weinstein, Gottheil et al. 1997, Evidenzgrad A). Kurzhospitalisationen im Rahmen einer Krisenintervention (Initiierung der Behandlung, Rückfälle auffangen) bewähren sich besonders in Krisensituationen sowie zur Stabilisierung und Verhinderung von Folgeschäden (Stohler 2004). Dabei ist der Leidensdruck im und kurz nach dem Rückfall in der Regel gross. Nach einer ersten körperlichen und psychischen Stabilisierung nimmt der Wunsch, weiterhin eine Behandlung in stationärem Rahmen zu absolvieren, häufig rasch ab. Es ist hier besonders wichtig, die Bereitschaft für eine nachfolgende ambulante Behandlung aufzubauen (motivational interviewing etc.; siehe z.B. DiClemente, Haug et al. 2003). Repetitive Therapien sind häufig effektiver als einmalige.
Besondere Beachtung gilt den kokainkonsumierenden werdenden Müttern (siehe Abschnitt 5.5.2 Behandlung von Schwangeren mit Kokainkonsum) und solchen, die es trotz des Konsums werden möchten (ausführliche Begründung siehe Strathearn and Mayes 2009).
Für den vergleichsweise geringen Teil von kokainabhängigen Patientinnen und Patienten mit intravenösen oder inhalativen (Freebase) Konsumformen, die eine psychische, somatische und soziale Mehrfachproblematik aufweisen, scheint eine stationäre Behandlung von mehreren Wochen indiziert. Studien haben gezeigt, dass im Hinblick auf den Behandlungserfolg eine Behandlung von rund 90 Tagen Dauer gegenüber einer kürzeren Behandlungsdauer überlegen ist (Goldstein, Deren et al. 2000, Evidenzgrad C; Simpson, Joe et al. 1999, Evidenzgrad B). Eine langdauernde (0,5-2 Jahre) stationäre Behandlung - in therapeutischen Gemeinschaften - ist wohl nur bei Kokainabhängigen mit einer Mehrfachabhängigkeit und schwerer zusätzlicher Psychopathologie in Einzelfällen sinnvoll (Zweben 1986). Kokainkonsum ist vergleichsweise häufig mit psychischen Störungen und Verhaltensauffälligkeiten assoziiert, die ihrerseits eine stationäre Langzeittherapie erfordern können.
Ebenfalls scheinen regelmässige telefonische Nachbetreuungskontakte die Beibehaltung der Konsumabstinenz zu verbessern (Godley, Coleman-Cowger et al. 2010, McKay, Lynch et al. 2005, Evidenzgrad B).
Die vielschichtigen Problemstellungen erfordern in der Regel ein flexibles interdisziplinäres Vorgehen. Die teilweise desolate soziale Situation erfordert häufig sozialarbeiterische Unterstützung.
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5.2 Psychotherapeutisch-psychosoziale Behandlungsansätze mit wissenschaftlichem Wirksamkeitsnachweis
Es kommen sowohl einzel- als auch gruppentherapeutische Verfahren zum Einsatz. Einzeltherapie wird als Drogenberatung, Sozialtherapie, tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie, systemische Therapie oder Verhaltenstherapie durchgeführt. Das Spektrum angewandter gruppentherapeutischer Methoden umfasst Psychoedukation, Beratung, themenzentrierte Gruppentherapie, Verhaltenstherapie und modifizierte psychodynamische Gruppentherapie. Gruppentherapie fördert die Einsicht in störungsspezifische Abwehrhaltungen (Verleugnung, Bagatellisierung, Rückfallgefährdung), wirkt sich auf Differenzierungs- und Verbalisierungsfähigkeit von Affekten günstig aus und verbessert Introspektionsfähigkeit, sowie interaktionelle und kommunikative Fähigkeiten. Weiter können Gruppen einer Isolierung der Patientinnen und Patienten entgegen wirken, die Patientinnen und Patienten fühlen sich mit den Problemen nicht alleine und es ist ein Austausch von Erfahrungen möglich. Gruppen haben aber auch den Nachteil, dass schambesetzte Themen oft unerwähnt bleiben und sich manche Patientinnen und Patienten in Gruppen unwohl fühlen (z.B. auch jene, die an sozialen Ängsten leiden, was eine häufige komorbide Störung darstellt). Voraussetzung für eine Gruppentherapie ist allerdings eine gewisse Stabilität der Gruppenteilnehmer. Mit den Betroffenen ist eine Einigung über (vorläufige) Therapieziele und -methoden zu treffen. Besonders zu Beginn und bei Krisen kann eine intensive Behandlung mit bis zu täglichen Kontakten notwendig sein. Psychotherapeutische Methoden sind vor allem in der Postakutphase von Bedeutung. Dabei hat sich in einer Metaanalyse bisher kein bestimmter Therapieansatz als generell überlegen erwiesen (Knapp, Soares et al. 2007), wobei kognitiv-verhaltenstherapeutische Methoden (CBT) nach dem Evidenzgrad B (Aharonovich, Hasin et al. 2006; Carroll, Rounsaville et al. 1994) insbesondere bei guten kognitiven Fähigkeiten der KlientInnen Erfolg versprechend sind (z.B. "Module" in Manualen zur Kurztherapie). Ebenso als günstig erwiesen hat sich die Ergänzung von CBT um Elemente der motivationalen Gesprächsführung (McKee, Carroll et al. 2008).
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5.2.1 Kognitive Verhaltenstherapie (Cognitive Behavioral Therapy – CBT)
In der Metaanalyse von Knapp et al. (2007) waren kognitiv-verhaltenstherapeutische Methoden (CBT) nach dem Evidenzgrad B (Carroll, Rounsaville et al. 1994) insbesondere bei guten kognitiven Fähigkeiten der KlientInnen Erfolg versprechend (z.B. "Module" in Manualen zur Kurztherapie; Aharonovich, Hasin et al. 2006). Ebenso als günstig erwiesen hat sich die Ergänzung von CBT um Elemente der motivationalen Gesprächsführung (McKee, Carroll et al. 2008). Mittels kognitiver Verhaltenstherapie in Form eines computergestützten Trainings zum Aufbau von Coping-Fertigkeiten bei Substanzmissbrauch konnten in einer amerikanischen Studie bessere Ergebnisse hinsichtlich der Anzahl an negativen Urinproben und der Abstinenzdauer im Vergleich zu einer Standardbehandlung erzielt werden (Kiluk, Nich et al. 2010). Die Autoren konnten zudem zeigen, dass dieser Effekt durch gestiegene Coping-Fertigkeiten vermittelt wird. In der Schweiz wird kognitive Verhaltenstherapie bei Kokainkonsum gegenwärtig in Form einer webbasierten Selbsthilfeoberfäche getestet (http://snowcontrol.ch/; Schaub, Sullivan et al. 2011). Dabei konnte eine erhöhte Retention gegenüber einer psychoedukativen Kontrollbedingung erzielt werden. Zudem reduzierten die Teilnehmenden in beiden Bedingungen ihre Konsummenge in Gramm, nicht aber ihre Konsumtage (Schaub, Sullivan et al 2012).
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5.2.2 Community Reinforcement Approach (CRA)
Der CRA geht davon aus, dass der Konsum durch substanzimmanente Verstärker und Mangel an alternativen Verstärkern aufrechterhalten wird. Therapeutisch werden um Veränderungen zu erwirken, deshalb solche Verstärker benutzt, die im Gemeinwesen zur Verfügung stehen und mit dem Kokainkonsum möglichst inkompatibel sind. Typische Elemente, die dabei eingesetzt werden, sind: Verhaltensanalyse, Eheberatung, Berufsberatung, Sozialberatung, Vermittlung von "skills" (Fähigkeiten), Entspannungstrainings (Meyers and Miller 2001) mit vorgegebenen Manualen (Rohsenhow, Monti et al. 2000; Monti, Rohsenhow et al. 1997, je Evidenzgrad B).
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5.2.3 Kontingenzmanagement (Contingency Management – CM)
Besonders in den USA wird versucht, mit Anreizen und Belohnungen kokainfreies Verhalten (festgestellt z.B. in Urinproben) zu belohnen. Es werden "vouchers" (Gutscheine) oder andere Belohnungen ("take home" Dosen für Substituierte etc.) abgegeben. Auch bei Mehrfachabhängigen kann durch ein solches Anreizsystem versucht werden, den Verzicht auf den Konsum von Kokain zu fördern (Dutra, Stathopoulou et al. 2008; Higgins 1997; Higgins, Budney et al. 1994; Kidorf, Hollander et al. 1998; Petry, Alessi et al. 2012; Petry, Alessi et al. 2007; Petry, Barry et al. 2012; Prendergast, Podus et al. 2006; Silverman, Higgins et al. 1996; Silverman, Wong et al. 2008, Stitzer, Petry et al. 2010; Evidenzgrad A) und dies offenbar auch unabhängig von anderen komorbiden psychischen Störungen (Weinstock, Alessi et al. 2007). Eine Studie fand erstaunlicherweise, dass in den USA Kontingenzmanagement (CM) CBT überlegen war, allerdings wurden in dieser Studie keine Angaben zu den kognitiven Fähigkeiten der Patientinnen und Patienten gemacht (Rawson, McCann et al. 2006). Bei finanziellen Belohnungen scheinen höhere Belohnungen für kokainnegative Urinproben bessere Ergebnisse zu erzielen als tiefere (Higgins, Heil et al. 2007; Olmstead and Petry 2009). Weiter scheint CM auch die Lebensqualität zu erhöhen (Petry, Alessi et al. 2007). Eine weitere Studie bei Patientinnen und Patienten in der Methadonbehandlung fand nebst reduziertem Kokainbeikonsum auch reduzierte HIV Übertragungsrisiken (Hanson, Alessi et al. 2008). Auch Patientinnen und Patienten mit posttraumatischer Belastungsstörung profitieren von CM (Mancino, McGaugh et al. 2010). In einer weiteren Studie mit Patientinnen und Patienten in Methadon-Behandlung erreichten diejenigen Patientinnen und Patienten, die zu Beginn des CM einen weniger schweren Kokainkonsum aufwiesen, während der Behandlung eher Abstinenz als Patientinnen und Patienten mit schwererem Konsum. Ausserdem zeigte sich, dass Abstinenz bei den meisten Teilnehmenden innerhalb der ersten 4 Wochen des CM einzutreten scheint (Weinstock, Rash et al. 2010). Auch eine Unterform des CM, die sogenannte Advisor-Teller Money Management Therapy, erwies sich bei kokainmissbrauchenden bzw. -abhängigen Personen als wirksam (Rosen, Rounsaville et al. 2010). Ob sich ein solches Anreiz- und Belohnungsmodell allerdings in Europa in einem ähnlichen Umfang bewährt, auf Akzeptanz stösst und sich zugleich finanzieren lässt, muss sich erweisen (ausführlichere theoretische Begründung in: Silverman, Higgins et al. 1996). Bisher wurde erst eine Studie aus Europa publiziert, die CM mit CRA kombinierte. Diese präliminäre, in Spanien durchgeführte Studie fiel durchaus positiv aus (García-Fernández, Secades-Villa et al. 2011; Secades-Villa, García-Fernández et al. 2012; Secades-Villa, García-Rodríguez et al. 2011; Secades-Villa, García-Rodríguez et al. 2008). Eine interessante Abwandlung von CM durch die Kombination von CM mit einem Arbeitsintegrationsprogramm bei Patientinnen und Patienten in Methadonprogrammen, wie sie unlängst in den USA durchgeführt wurde (DeFulio, Donlin et al. 2009), wäre eine für westeuropäische Verhältnisse denkbare Variante und verspricht bei anhaltender Arbeitsmöglichkeit langfristig positive Ergebnisse (DeFulio and Silverman, 2011).
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5.2.4 Relapse prevention
Mit dem Verfahren der Rückfallverhütung (relapse prevention; Velicer, DiClemente et al. 1990; Marlat & Gordon 1985) wird versucht, das Rückfallrisiko durch eine Verbesserung der Selbstkontrollfunktionen zu vermindern. Es sollen riskante Situationen - aber auch analoge Gedankengänge - erkannt und protektive Reaktionsmuster ("coping skills", "skilltraining") vermittelt werden. Systematisch soll der Umgang mit "craving" gelernt werden. Falls es trotzdem zu einem Rückfall kommt, wird versucht, diesen zu begrenzen (Carroll 1994; Graham et al. 1996; Rohsenow, Monti et al. 2000, Evidenzgrad B).
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5.2.5 Matrix-Modell
Im Matrix-Modell werden verschiedene Ansätze kombiniert. Hier kommen auch Methoden der Selbsthilfeorganisationen und -gruppen zum Einsatz, beispielsweise das 12-Schritte-Programm der "narcotics anonymous" (NA) oder psychoedukative Verfahren für Familien etc. (Margolin, Avants et al. 1996; Shoptaw, Rawson, Shoptaw et al. 1995; Weiss, Griffinet et al. 2000, Evidenzgrad B). Die Teilnahme an Programmen der NA wird von einigen PatientInnen abgelehnt, da eine Affinität zu (religiös-) spirituellen Haltungen besteht. Die NA sind damit nur für einen Teil der Abhängigen geeignet.
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5.2.6 Behaviorale Familientherapie
Dieses therapeutische Verfahren vereinigt Prinzipien der systemischen mit solchen der Verhaltenstherapie (Fals-Stewart, Birchler et al. 1996) und ist bei Adoleszenten und jungen Erwachsenen indiziert, bei welchen familiäre Interaktionsmuster zur Entstehung und Aufrechterhaltung der Kokainabhängigkeit beitragen (Shadish, Matt et al. 2000).
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5.2.7 Analytische Gesprächstherapie
Analytische Therapieansätze sollen dazu beitragen, den Umgang mit Affekten, die Impulskontrolle und das Beziehungsverhalten zu überdenken und zu verbessern. Zusätzlich soll das Selbstwertgefühl gehoben werden (Goodman 1993; Jerry 1997; Waska 1998). Wobei substanzspezifische Anpassungen der klassischen analytischen Gesprächstherapien beschrieben wurden, die an die jeweiligen Gegebenheiten - insbesondere bei Kokain - angepasst werden (Woody, Luborsky et al. 1983; Woody, McLellan et al. 1986). Ein solches angepasstes Verfahren stellt die supportiv-expressive Therapie dar (vgl. z.B. Woody et al. 1995). Für kokainassoziierte Störungen ist die Wirksamkeit analytische Gesprächstherapien durch Fallberichte und klinische Erfahrung belegt, insbesondere für modifizierte psychodynamische gruppentherapeutische Verfahren (APA 1995, Evidenzgrad C).
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5.2.8 Supportive Therapie
Bei fast allen Ansätzen zur Behandlung von Substanzstörungen sind (zusätzliche) supportive Verfahren wirksam. Auf der Basis einer tragfähigen therapeutischen Beziehung kommen Ich-stützende Elemente zum Einsatz. Die Wirksamkeit supportiver Ansätze ist belegt (Crits-Christoph, Siqueland et al. 1999; Siqueland, Crits-Christoph et al. 1998, je Evidenzgrad A).
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5.3 Ansätze ohne (klaren) wissenschaftlichen Wirksamkeitsnachweis (aber mit einer gewissen Plausibilität)
5.3.1 Network-Therapie
Ein dem CRA ähnliches Verfahren (Galanter, Dermatis et al. 2002; Galanter, Keller et al. 1997; Glazer, Galanter et al. 2003, Evidenzgrad C).
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5.3.2 Akupunktur
In Einzelfalldarstellungen wird der Einsatz von Akupunktur in der Behandlung von Kokainabhängigen als hilfreich beschrieben. In der Regel kommt die Ohrakupunktur zum Einsatz. Sie soll das Craving beeinflussen und vegetative Spannungen reduzieren (Cui, Wu et al. 2008). Anfänglich günstig scheinende kontrollierte Studienresultate haben sich nicht halten lassen (Avants, Margolin et al. 2000; Margolin, Kleber et al. 2002).
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5.4 Pharmakologische Ansätze
Medikamente können zur Behandlung des Entzugssyndroms sowie zur mittelfristigen Behandlung resp. Langzeitbehandlung eingesetzt werden (Kampman, Volpicelli et al. 2002). Die hier aufgeführten Medikamente sind in aller Regel für die Indikation "Behandlung der Kokainabhängigkeit" nicht zugelassen. Deren Verschreibung richtet sich daher nach den Bestimmungen des "off-label-use" im Arzneimittelrecht. Solche Behandlungen sind nur im Einzelfall möglich. Die behandelnden Ärztinnen und Ärzte übernehmen dabei eine erhöhte eigene Verantwortlichkeit für die Behandlungsrisiken; Nebenwirkungen müssen der swissmedic gemeldet werden. Behandelte (und allenfalls auch ihre gesetzlichen Vertreter) müssen zudem in jedem Fall über die Anwendung ausserhalb der zugelassenen Indikation detailliert informiert und eine schriftliche Einverständniserklärung muss eingeholt werden. Die Tatsache, dass Alternativen fehlen bzw. dass zugelassene Medikamente schon versucht und nicht vertragen wurden oder nicht geholfen haben, sind in der Krankengeschichte zu dokumentieren. Medikamente, die dem Betäubungsmittelgesetz (BtmG) unterstehen, sind in der Verordnung des Schweiz. Heilmittelinstituts über die Betäubungsmittel und psychotropen Stoffe aufgelistet. Werden solche Medikamente für eine Therapie verwendet, schreibt das BtmG eine kantonale Bewilligung vor (Art. 15a, Abs. 5 BtmG).
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5.4.1 Agonistische Therapie
Voraussetzung einer Behandlung mit Stimulanzien (Methylphenidat, Modafinil, Dexamphetamin etc.) ist eine gewisse Verlässlichkeit der Patientinnen und Patienten (Diversifikation, Überdosierung). Die Wirksamkeit und Verträglichkeit einer Behandlung mit Stimulanzien (v.a. Methylphenidat) ist bei Entzugsbehandlungen (für ca. 1-2 Wochen) einigermassen belegt (Evidenzgrad B); für Langzeitbehandlungen nur bei komorbidem ADHD (Evidenzgrad A) (Brady, Jasinski 2000; Camacho and Stein 2002; Castells, Casas et al. 2010; Collins, Levin et al. 2006; Dackis, Kampman et al. 2012; Dackis, Kampman et al. 2005; Dackis, Lynch et al. 2003; Dackis and O'Brien 2003; Gawin, Riordan et al. 1985; Grabowski, Roache et al. 1997; Hart, Haney et al. 2008; Kosten and Biegel 2002; Levin, Evans et al. 1998; 2006; Margolin, Avants et al. 1996; Shearer, Wodak et al. 2003; Sofuoglu, Devito et al. 2013; Somoza, Winhusen et al. 2004; Stine, Krystal et al. 1995; Vansickel, Fillmorex et al. 2008; Winhusen, Somoza et al. 2006).
Eventuell sind Stimulanzien auch geeignet bei komorbider HIV/AIDS-assoziierter Fatigue. Eine erste systematische Metaanalyse zur Verschreibung von Stimulanzien bei Kokainabhängigkeit lässt noch keine klaren Schlüsse zu, wobei Modafinil und Dexamphetamin in Bezug auf Kokainabstinenz in dieser Metaanalyse tendenziell etwas besser abschnitten als andere Stimulanzien (Castells, Casas et al. 2007/2010) und Modafinil die Schlafarchitektur bei Kokainabhängigen in den ersten Wochen nach erfolgter Abstinenz zu begünstigen scheint (Morgan, Pace-Schott et al. 2010). Methamphetamin-Tabletten, die ihren Wirkstoff langsam frei setzten (slow-release), scheinen deutlich besser zu sein als solche mit rasch wirkendem Wirkstoff (Mooney, Herin et al. 2009). Modafinil scheint bei komorbider Alkoholabhängigkeit hingegen weniger geeignet zu sein (Anderson, Reid et al. 2009) und Kumar (2008) bleibt gegenüber Modafinil zur Behandlung von Kokainabhängigkeit aufgrund der hohen Interaktionshäufigkeit mit anderen Substanzen sehr zurückhaltend. Zudem weist Kumar (2008) darauf hin, dass die Modafinil Dosis bei Hepatitis C Patientinnen und Patienten nach unten angepasst werden sollte. Weiter beeinflusst Modafinil den Metabolismus steroidaler Kontrazeptiva: Frauen im gebärfähigen Alter ohne Kinderwunsch müssen somit auf eine andere effektive Schwangerschaftsverhütungsmethode ausweichen! In Anbetracht der vermehrten Verschreibung von Modafinil zur Reduktion von Kokainkonsum weisen Volkow, Fowler et al. (2009) in einer PET Studie zur cerebralen Wirkungsweise von Modafinil hin, dass diese Substanz selbst auch addiktive Eigenschaften besitzen könnte, welche näher untersucht werden müssen. Eine erste Kosten-Nutzen-Analyse deutet darauf hin, dass die Kosten-Effizienz von Modafinil durch zusätzliche Beratung gesteigert werden kann (Shearer, Shanahan et al. 2010). Aktuell wird in den Niederlanden eine dreiarmige Machbarkeitsstudie zur Verschreibung von Modafinil, Dexamphetamin und Topiramat durchgeführt (Goudriaan, Veltman et al. 2012; Nuijten, Blanken et al. 2011), aktuell die einzige grössere Studie zur Pharmakotherapie bei Kokainabhängigkeit in Europa.
Die Behandlung mit Kokain selbst stellt einen Spezialfall dar. Aus verschiedenen Voruntersuchungen geht hervor, dass eine solche Behandlung das Verlangen nach Kokain allenfalls verstärken kann (Donny, Bigelow et al. 2003; Foltin, Ward et al. 2003; Fillmore, Rush et al. 2002; Walsh, Haberny et al. 2000, Evidenzgrad B). Ob und wie mit "Settingparametern" der Gefahr einer Konsumeskalation entgegengetreten werden könnte, ist umstritten.
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5.4.2 GABA-erge Medikation
5.4.2.1 Anti-Epileptika, mood-stabilizer
Vigabatrin hemmt selektiv und irreversibel die GABA-Transaminase und steht vor der klinischen Zulassungsprüfung als Anti-Kokain-Medikation in den USA (NIDA 2005; Brodie, Case et al. 2009, Evidenzgrad A). Eine aktuelle Meta-Analyse einer spanischen Forschergruppe fand keine Verbesserungen der Retention und zwar knapp, aber dennoch nicht signifikant bessere Resultate aufgrund der Kokainnegativ-Urinproben gegenüber Placebo, obwohl sie rund 1'300 Patientinnen und Patienten einschlossen (Alvarez, Farré et al. 2010). Eine etwas ältere Metastudie zu Wirksamkeit von Anti-Epileptika, bzw. Mood-stabilizern, die insgesamt 15 Studien einschloss, fand keine signifikante Wirksamkeit gegenüber Placebo von Carbamazepin, Gabapentin, Lamotrigin, Phenytoin, Tiagabin, Topiramat und Valproat (Minozzi, Amato et al. 2008). Bei Gabapentin wurden sogar mehr Drop-outs gefunden gegenüber Placebo und bei Phenytoin signifikant stärkere Nebeneffekte gegnüber Placebo. Einzig eine Studie, in der langsam wirksame Amphetaminsalze in Kombination mit Topiramat eingesetzt wurden, erzielte einen positiven Effekt gegenüber Placebo (Mariani, Pavlicova et al. 2012).
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5.4.2.2 Progesteron
Bei beiden Geschlechtern präliminäre Wirksamkeitsevidenz (Sofuoglu, Mitchell et al. 2004, Evidenzgrad C). Wobei die exogene Progesteronabgabe während des Eisprungs bei Frauen die als positiv empfundenen Effekte durch Kokain vermindert (Evans and Foltin, 2006).
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5.4.2.3 GABA(B)-Agonisten (Baclofen)
Eventuell wirksam gegen das "Reinstatement." (Cousins, Roberts et al. 2002; Gorelick, Gardner et al. 2004; Haney, Hart et al. 2006; Kaplan, McRoberts et al. 2004; Shoptaw, Yang et al. 2003, Evidenzgrad C).
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5.4.3 ß-Blocker
Wegen der Gefahr der Aggravation einer kritischen kardialen Situation während des Konsums, ist es nur während der Entzugsbehandlung oder sonst gesicherter Abstinenz einzusetzen.
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5.4.4 Dopaminerge Medikation
Disulfiram reduziert die Aktivität der Serumesterasen und der Dopamin-Hydroxylase: v.a. in Kombination mit CBT, aber weniger bei weiblichen Personen und Personen mit kardiovaskulären Krankheiten geeignet (Backer, Jatlow et al. 2006; Carroll, Fenton et al. 2004; Carroll, Nich et al. 2012; Jofre-Bonet, Sindelar et al. 2004; Malcolm, Olive et al. 2008; Nich, MacCance-Katz et al. 2004; Pani, Trogu et al. 2010, Evidenzgrad A). Eine Studie zur unterschiedlichen Dosierung von Disulfiram bei Personen mit Opiat- und Kokainabhängigkeit, die neu in die Methadonbehandlung eingeschlossen wurden, zeigte bei Dosen unter 250mg pro Tag eine leichte Steigerung des Kokainkonsums und bei Dosen darüber eine Verringerung (Oliveto, Poling et al. 2010).
Levodopa-Carbidopa wurde in einer randomisierten Kontrollstudie mit CM kombiniert. Die Teilnehmenden wurden je einer von drei Formen von CM zugewiesen, in denen jeweils ein anderes Zielverhalten (negative Urinproben, regelmässiges Erscheinen in der Klinik oder korrekte Medikamenteneinnahme) verstärkt wurde. Levodopa-Carbidopa war Placebo nur in der ersten Bedingung überlegen: Personen mit Levodopa-Carbidopa gaben hier häufiger negative Urinproben ab (Schmitz, Lindsay et al. 2010).
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5.4.5 Medikamente aus der Alkoholentwöhnung
Bei der Behandlung von Kokainabhängigkeit erwies sich Acamprosat hinsichtlich der Reduktion von Craving und von Entzugssymptomen bisher als nicht wirksam (Kampman, Dackis et al. 2011).
Bei gleichzeitig auftretender Kokain- und Alkoholabhängigkeit zeigte Naltrexon alleine und in Kombination mit Disulfiram erste positive Ergebnisse. In Bezug auf die komplette Behandlungsdauer von elf Wochen ergaben sich aber keine signifikanten Unterschiede gegenüber Placebo in allen Medikamentenkombinationen (Pettinati, Kampman, Lynch, Xie et al. 2008). Naltrexon (in Kombination mit einer psychosozialen Behandlung) bei kombinierter Kokain- und Alkoholabhängigkeit führte bei Männern zu einem reduzierten Konsum beider Substanzen, bei Frauen hingegen erhöhte sich der Konsum (Pettinati, Kampman, Lynch, Suh et al. 2008).
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5.4.6 (stimulierende) Antidepressiva
Z.B. Bupropion, Fluoxetin, Mirtazapine, Reboxetin, Selegilin, Venlafaxin, Imipramin/Desipramin. Vor allem antidepressiv wirksam; weniger gegen Konsumreduktion (Elkashef, Fudala et al. 2006; Afshar, Knapp et al. 2012; Lima, Reisser et al. 2003; Torrens, Fonseca et al. 2005, Winstanley, Bigelow et al. 2011, Evidenzgrad A). In Kombination mit Contingency Managment (Poling, Oliveto et al. 2006, Evidenzgrad B bei Methadonpatienten) oder CBT (Shoptaw, Heinzerling et al. 2008, Evidenzgrad B) konnte mit Bupropion der Kokainbeikonsum bei Methadonpatienten reduziert werden. Eine weitere Studie konnte eine signifikante Reduktion von kokainpositiven Urinproben mit Citalopram in Kombination mit CBT zeigen (Moeller, Schmitz, et al. 2007; Evidenzgrad B).
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5.4.7 Neuroleptika
Bis jetzt existiert keine klinische Evidenz, welche die Wirksamkeit von Neuroleptika (bisher wurden Risperidon, Olanzapin und Haloperidol untersucht) bei Nichtschizophreniekranken auf Kokainabhängigkeit zeigen konnte (Amato, Minozzi et al. 2007; Hamilton, Nguyen et al. 2009; Martell, Orson et al. 2010; Meini, Moncini et al. 2011).
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5.4.8 Neuroprotektive Substanzen
Vielversprechender harm-minimization-Ansatz (Herning, King et al. 1997).
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5.4.9 Aktive/passive Impfungen
Diese sind noch nicht klinikreif. Studien zu klassischen aktiven und passiven Impfungen waren bisher wenig erfolgreich. Aktuell sind Forscher daran, den Kokainimpfstoff zu verbessern, indem sie versuchen die Bindungsstärke an Kokain und seine Fähigkeit, Antikörper hervorzurufen, zu erhöhen. Neue Impfstofftechnologien, einschliesslich des Gentransfers, um die Spezifität und die Menge der produzierten Antikörper zu erhöhen oder den Metabolismus von Kokain zu verbessern, könnten ebenfalls die Wirksamkeit dieser Behandlung verbessern (Orson et al. 2014). Eine pharmakogenetische Studie mit einer kleinen Anzahl von Patientinnen und Patienten deutet darauf hin, dass Personen mit einem bestimmten Genotyp gut auf den Kokainimpfstoff ansprechen (Nielsen et al. 2013).
Orson FM, Wang R, Brimijoin S, Kinsey BM, Singh RA, Ramakrishnan M, Wang HY, Kosten TR. Expert Opin Biol Ther. 2014 Sep;14(9):1271-83.
Nielsen DA, Hamon SC, Kosten TR. The κ-opioid receptor gene as a predictor of response in a cocaine vaccine clinical trial. Psychiatr Genet. 2013;23(6):225-232.
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5.4.10 Weitere pharmakologische Ansätze
N-Acetylcystein reduziert Kokain-Craving (LaRowe, Myrick et al. 2007) und normalisiert die Glutamatlevel bei Kokainabhängigen (Schmaal, Veltman et al. 2012).
Eine Studie, die das Antidementivum Memantin vs. Placebo in Kombination mit CM und individueller Rückfallprävention untersuchte, zeigte keinen Unterschied im Kokaingebrauch der Memantin- und der Placebo-Gruppe (Bisaga, Aharonovich et al. 2010).
CDP-Cholin, ein Wirkstoff der unter anderem für die Genesung von neuronalen Schäden und Hirnschädigungen angewandt wird, hat bisher in einer kleinen Studie keine signifikante Reduktion des Kokainkonsums ergeben (Licata, Penetar et al. 2011).
Eine erste Pilotstudie zum Einsatz von Vareniclin ergab eine höhere Reduktion des Kokainkonsums, wobei eine eigentliche Wirksamkeitsstudie geplant ist (Plebani, Lynch et al. 2011).
Ein weiterer Ansatz setzt bei der Verbesserung der kognitiven Defizite von Kokainabhängigen ein, um sie für psychotherapeutische Therapieansätze besser empfänglich zu machen, wobei sich dabei laut einigen Autoren eine insgesamt höhere kombinierte Therapiewirksamkeit ergeben soll (z. B. Sofuoglu, Devito et al. 2013; Sofuoglu, Waters et al. 2011).
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5.4.11 Behandlung akuter Kokainüberdosis
Forscher sind seit geraumer Zeit daran medizinische Interventionen zu entwickeln, um die akuten Notfälle, die durch eine Kokainüberdosis entstehen, zu behandeln. Ein Ansatz, der erforscht wird, ist die Verwendung gentechnisch hergestellter menschlicher Enzyme, die am Abbau von Kokain beteiligt sind und den verhaltensbezogenen und toxischen Auswirkungen einer Kokainüberdosis entgegenwirken würden (Schindler und Goldberg).
Schindler CW, Goldberg SR. Accelerating cocaine metabolism as an approach to the treatment of cocaine abuse and toxicity. Future Med Chem. 2012;4(2):163-175.

5.5 Besonders zu beachtende Problemfelder
5.5.1 Behandlung von Mehrfachabhängigen mit Kokainkonsum
Mehrfachabhängige mit Kokainbeikonsum sind in der Schweiz in der Regel – wenigstens zeitweise und meist mehrmals - in Methadon- oder anderen Opioidagonistentherapien eingebunden. Bei dieser Klientengruppe ist vorerst auf eine ausreichende Dosierung der Opioidagonisten zu achten (Bravo, Llorens et al. 2010; Kreek et al. 1999; Magura, Siddiqi et al. 1991; Schottenfeld, Pakes et al. 1997; Tennant and Shannon 1995, Evidenzgrad A). Ob spezielle Opioidagonisten (Buprenorphin, Heroin) zur Behandlung von kombinierten Abhängigkeiten speziell geeignet sind, wird kontrovers diskutiert (Gschwend, Eschmann et al. 2003; Mello and Negus 1998; Strain, Stitzer et al. 1994).
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5.5.2 Behandlung von Schwangeren mit Kokainkonsum
Eine frühzeitige Identifikation und Behandlung von Kokainkonsum während der Schwangerschaft ist von grosser Wichtigkeit. Doch Furcht vor Stigmatisierung (die gerade bei kokainkonsumierenden Schwangeren besonders hoch ist) und vor rechtlichen Konsequenzen führt dazu, dass viele Schwangere ihren Kokainkonsum verbergen und keine Behandlung aufsuchen. Momentan liegen keine spezifischen evidenzbasierten pharmakologischen Behandlungsmöglichkeiten vor (Hull, May et al. 2010). Aufgrund allfälliger Komplikationen und z.T. auch der Teratogenität einiger der im Glossar beschriebenen Substanzen wird an dieser Stelle empfohlen vorwiegend eine psycho-soziale Behandlung der Kokainabhängigkeit anzustreben.
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5.5.3 Jugendliche mit schädlichem Gebrauchsmuster
Früher Konsum im Jugendalter erschwert Entwicklung oder verstärkt Entwicklungsdefizite in relevanten Lebensbereichen wie z.B. in Schule, Beruf und Familie. Hier ist es selbstverständlich wichtig, schulische und berufliche Perspektiven in die Rehabilitation mit einzubeziehen. Familientherapeutische Ansätze haben sich gegenüber Einzelbehandlungen als überlegen erwiesen (Shadish, Matt et al. 2000; Stanton and Shadish 1997, Evidenzgrad A).
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5.5.4 Ungeschützte Sexualkontakte
Einige Studien berichten von Kokainkonsum zur Steigerung einer sexuellen Enthemmung, was besonders bei Homosexuellen aber auch bei Bisexuellen mit einer Verminderung von geschützten Sexualkontakten und mit einer erhöhten HIV- und Hepatitisansteckungsgefahr einhergehen kann (z.B. Cohen, Russel et al. 2006; McKirnanm, Vanable et al. 2001).
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5.5.5 Co-occurring disorders
Die Behandlung von komorbiden Störungen verbessert grundsätzlich die Behandlungsergebnisse (z.B. Kampman, Pettinati et al. 2004).
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6. Differentielle Indikation

Zur differentiellen Indikation liegen kaum Erkenntnisse vor, die über das im obigen Text Bemerkte hinausgehen.
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7. Zusammenarbeit und Unterstützung

Zusammenarbeit ist unverzichtbar. Mit dem hier vorliegenden Glossar soll auch die Zusammenarbeit und der Meinungsaustausch zwischen Fachleuten und ihren Institutionen erleichtert werden. Inzwischen sind einige Publikationen zur weiteren Vernetzung von Behandelnden und zur Bekanntmachung des Glossars erschienen (z.B. Schaub, Berthel et al. 2009; Schaub und Stohler 2010).
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8. Impressum Glossar Kokainbehandlungen

Rudolf Stohler, PD Dr. med., Psychiatrische Universitätsklinik Zürich
Toni Berthel, Dr. med., Integrierte Psychiatrie Winterthur
Michael Herzig, Ambulante Drogenhilfe/Heroingestützte Behandlung der Stadt Zürich
Peter Burkhard, Die ALTERNATIVE, Ottenbach
Thomas Meyer, Dr. med., Forel-Klinik, Ellikon a. d. Thur
Marco Olgiati, Dr. med., frei praktizierender Psychiater
Daniel Meili, Dr. med., Arbeitsgemeinschaft für risikoarmen Umgang mit Drogen ARUD Zürich, Ärztegesellschaft des Kantons Zürich
Barbara Sprenger, Apothekerverein des Kantons Zürich
Michael Schaub, PD Dr.phil., Schweizer Institut für Sucht- und Gesundheitsforschung ISGF
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Impressum